- tschechische Sprache
- tschẹchische Sprache,westslawische Sprache (slawische Sprachen), gesprochen von etwa 10 Mio. Tschechen in der Tschechischen Republik, außerdem von 0,6 Mio. in den angrenzenden Ländern sowie von Minderheiten, v. a. in den USA und Kanada.Die tschechische Sprache wird mit lateinischen Buchstaben und zusätzlichen diakritischen Zeichen geschrieben: Háček bei č, Ď, ě, ň, ř, š, Ť, ž; Akut (čárka) für die Länge der Vokale á, é, í, ó, ú, ý; resultiert langes u aus o, wird die Länge durch ∘ bezeichnet (ů); zur Kennzeichnung der Palatalität am Wortende und vor Konsonant wird auch ' verwendet: d', t'; i, í und e bezeichnen ebenfalls die Palatalität der vorhergehenden Konsonanten.Die Betonung liegt grundsätzlich auf der ersten Silbe, bewirkt aber keine Längung; in der Verbindung von einsilbigem Pronomen und Nomen geht sie auf das Pronomen über. Vier- und Mehrsilber tragen einen schwachen Nebenton auf der vorletzten Silbe.Die tschechische Sprache hat fünf jeweils kurze und lange Vokalphoneme (a, á, e, é, i, í, o, ó, u, ú), d. h., die Vokalqualität ist bedeutungsrelevant, z. B. mám »Ich habe« - mam »Trug«. Sie verfügt außerdem über die Diphthonge ou, ej, au und eu. Auch r und l (in seltenen Fällen auch m) können Silben bildend sein und den Ton tragen, sind jedoch immer kurz, z. B. prst »Finger«, vlk »Wolf«. - Die Konsonanten unterliegen alle der Stimmbeteiligung. Sie können - mit Ausnahme der immer stimmhaften Sonanten (j, l, m, n, ň, r) - sowohl stimmhaft als auch stimmlos sein. Treffen mehrere Konsonanten aufeinander, wirkt die regressive Assimilation, d. h., der vorhergehende Konsonant passt sich dem folgenden (außer dieser ist v) im Stimmton an. Im Auslaut werden alle Konsonanten und Konsonantengruppen stimmlos. Die Palatalitätskorrelation betrifft nur die Konsonantenpaare d - d', n - n', t - t'. - Eine Besonderheit ist der Laut ř, der stimmhaft wie [ʒ], stimmlos wie [ʃ] mit gleichzeitigem Vibrieren der Zungenspitze gesprochen wird.Die Deklination der Substantive ist nach dem Genusprinzip aufgebaut. Es gibt drei Genera (Maskulinum, Femininum, Neutrum), die jeweils über eine harte und eine weiche Deklination verfügen. Außerdem gibt es Feminina, die der konsonantischen Deklination folgen. - Von den sieben Kasus (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ, Instrumentalis, Lokativ, Vokativ) hat der Vokativ nur im Singular des Maskulinums und Femininums besondere Formen. Besondere Dualformen haben sich nur bei der Bezeichnung paariger Körperteile erhalten. Im Akkusativ Singular und Nominativ Plural der Maskulina gibt es unterschiedliche Formen für belebte (Belebtheitskategorie) und unbelebte Wesen. Im Nominativ Plural der Maskulina sind Tendenzen zur Ausbildung besonderer Endungen für männliche Personen (Personalkategorie) erkennbar.Auch die Adjektive folgen einem harten und einem weichen Deklinationstyp und weisen im Nominativ und Akkusativ Lang- und Kurzformen auf. - Das Verbum verfügt über die Kategorien von Aspekt (perfektiv und imperfektiv) und Tempus (Präsens, Futur, Präteritum), Person, Numerus und Modus (Imperativ, Konditional). - Die Wortfolge ist relativ frei und ermöglicht stilistische Differenzierungen.Der Wortschatz ist geprägt durch eine Vielzahl westlicher, v. a. deutscher Lehnwörter, die in der Zeit der Wiedergeburt (19. Jahrhundert) zum Teil durch eigene Neubildungen ersetzt wurden. Seit 1945 kamen russische Neubildungen, aber auch westliche Internationalismen hinzu.Die Dialekte teilt man heute in die zentralböhmischen Dialekte und drei mährische Dialektgruppen ein: die zentralmährische (hanakische, um Brünn und Olmütz), die ostmährische (mährisch-slowakische, Zlín, Ungarisch-Hradisch) und die schlesische (lachische, Ostrau, Troppau); sie unterscheiden sich v. a. im Vokalismus. Die Hochsprache (spisovná čeština), die zur schriftlichen und zur offiziellen mündlichen Kommunikation verwendet wird, beruht auf dem zentralböhmischen Dialekt. Die überregionale Umgangssprache (běžná mluva) wird in der inoffiziellen mündlichen Kommunikation verwendet. Die Konversationssprache des Alltags ist das Gemeintschechische (obecná čeština), das ebenfalls auf den zentralböhmischen Dialekten beruht und in ganz Böhmen und in weiten Teilen Mährens verwendet wird.Aus der Periode des Urtschechischen (9.-11. Jahrhundert) sind keine sprachlichen Denkmäler überliefert, allenfalls enthalten die glagolitisch-kirchenslawischen Fragmente (Kiewer Blätter, 10. Jahrhundert; Prager Blätter, 11.-12. Jahrhundert) tschechische Einflüsse. Die Periode des Alttschechischen wird zwar vom 12. bis zum 15. Jahrhundert angesetzt, doch beginnt eine eigentliche Textüberlieferung erst mit dem 14. Jahrhundert (Alexandreis, Dalimilchronik u. a.). Zunächst wurden die tschechischen Laute durch lateinische Buchstaben wiedergegeben, wobei für unterschiedliche Laute häufig nur ein Buchstabe verwendet wurde. Später versuchte man, tschechische Laute, die es im Lateinischen nicht gab, durch Konsonantengruppen wiederzugeben. J. Hus (»Orthographica bohemica«, 1410) führte für die Länge der Vokale und für die Konsonanten ohne lateinische Entsprechung die diakritischen Zeichen ' und · ein (ċ, ṡ, ż, ṙ für heutiges č, š, ž, ř) und vereinfachte die Sprache (Wegfall von Imperfektiv und Aorist). Die Schreibweise mit diakritischen Zeichen wurde nicht sofort angenommen und breitete sich erst Ende des 15. Jahrhunderts und im 16. Jahrhundert aus. Mit der Einführung des Drucks wurde der Punkt durch das Háček, das Komma durch den Akut ersetzt. Im 14. und 15. Jahrhundert wurden religiöse Texte durch kroatische Mönche im Emmauskloster in Prag nicht nur kroatisch, sondern zunehmend auch tschechisch in glagolitischer Schrift geschrieben, die sich aber nicht durchsetzte.Die Periode vom 16. bis zum 18. Jahrhundert wird als Mitteltschechisch bezeichnet. Zur Zeit des Humanismus und der Böhmischen Brüder wurde das Tschechische als gleichberechtigte Sprache der Wissenschaft, des Rechts, der Geschichtsschreibung u. a. angesehen, orientierte sich nun aber stärker am Lateinischen. 1533 veröffentlichten Beneš Optát (* vor 1500, ✝ 1559), Petr Gzel und Václav Philomates (* 1492) die erste tschechische Grammatik (»Grammatyka česká«), die 1588 und 1643 in veränderten Fassungen erschien. Sie bildete die Grundlage der Grammatik (»Gramatika česká«, 1571) von J. Blahoslav. Die erste systematische tschechische Grammatik erstellte jedoch der Slowake V. B. Nedožerský (»Grammaticae bohemicae ad leges conformatae libri duo«, 1603). In diese Zeit fallen auch die Wörterbücher von Daniel Adam (* 1545, ✝ 1599) »Nomenclator quadrilinguis«, nach Sachgruppen geordnet, und »Silva quadrilinguis«, alphabetisch geordnet (beide 1598). Ihren Höhepunkt erreichte die Tätigkeit der Böhmischen Brüder mit der Kralitzer Bibel, deren Sprache bis ins 19. Jahrhundert vorbildlich blieb. Nach der Schlacht am Weißen Berg (1620) und im Zeichen der Gegenreformation kam es zu einem Stillstand in der Sprachentwicklung: Latein und Deutsch wurden zur Sprache der Gebildeten.Mit dem 19. Jahrhundert begann die neutschechische Periode. J. Dobrovský leitete mit seiner Grammatik »Ausführliches Lehrgebäude der böhmischen Sprache« (1809) die Wiedergeburt der tschechischen Sprache ein. J. Jungmann nahm in sein deutsch-tschechisches Wörterbuch (»Slovník česko-německý«, 5 Bände, 1835-39) Wörter aus der klassischen tschechischen Literatur, den Werken jüngerer Schriftsteller, aber auch eigene Neuprägungen nach slawischem Muster auf und trug damit erheblich zur Kodifizierung des tschechischen Wortschatzes bei. Durch die Gründung von Zeitschriften und eine rege publizistische und literarische Tätigkeit (auch mit Übersetzungen) wurde die tschechische Sprache als Nationalsprache in allen Kommunikationsbereichen verwendet. Germanismen aus dem 18. Jahrhundert wurden durch ältere tschechische Wörter oder Wörter aus anderen slawischen Sprachen ersetzt, so tyátr durch älteres divadlo und luft durch aus dem Russischen entlehntes vzduh. Trotz Anpassung der tschechischen Sprache an westlichen Standards kam es nun zu historisierenden und puristischen Tendenzen. Erst durch die theoretischen Arbeiten des Prager Linguistenkreises (Prager Schule) wurde das Prinzip der historischen Reinheit durch das der »elastischen Stabilität« (Vilém Mathesius) bei der Kodifizierung der tschechischen Literatursprache ersetzt, d. h., man orientierte sich mehr an der Sprache der besten zeitgenössischen Schriftsteller als an starren historischen Normen.Wörterbücher:Česko-německý slovník zvláště grammaticko-fraseologicky, hg. v. F. S. Kott, 7 Bde. (Prag 1878-93);J. Gebauer: Staročeský slovník, 2 Bde. (ebd. 1903-16);Příruční slovník jazyka českého, hg. v. B. Havránek u. a., 8 Bde. (ebd. 1935-57);L. Kopeckij: Velký rusko-český slovník, 6 Bde. (ebd. 1952-62);Slovník spisovného jazyka českého, 4 Bde. (ebd. 1958-71);V. Machek: Etymologický slovník jazyka českého (Prag 31971);Staročeský slovník, 2 Bde. (ebd. 1979-84);Česko-německý slovník, hg. v. H. Siebenschein, 2 Bde. (Prag 41992);Dt.-tschech. Wb., hg. v. H. Siebenschein, 2 Bde. (Prag 51993);Sprachgeschichte, Historische Grammatiken:J. Gebauer: Historická mluvnice jazyka českého, 4 Tle. (Prag 1-31929-63);J. Bauer: Histor. Syntax der t. S. (a. d. Tschech., 1974);Grammatiken, Phonetik, Orthographie:F. Trávníček: Mluvnice spisovné češtiny, 2 Bde. (Prag 1951);B. Hala: Uvedení do fonetiky češtiny (Prag 1962);R. Fischer: Tschech. Gramm. Leitfaden zur Einf. in die t. S. (Leipzig 41975);Mluvnice češtiny, hg. v. J. Petr, 3 Bde. (Prag 1986-87);Pravidla českého pravopisu, bearb. v. J. Bělič u. a. (ebd. 191990).Lehrbücher:B. Koenitz: Grundkurs der t. S., 3 Bde. (Leipzig 1981-82);J. Březina: Kurzer Lehrgang der t. S. (Leipzig 51983).Dialekte:J. Bělič: Nástin české dialektologie (Prag 1972).
Universal-Lexikon. 2012.